Czernowitz [rum. Cernăuţi; ukr. Černivici]

Beitrag und Foto von Maria Mühlbauer

 

Die ukrainische Stadt liegt am östlichen Rand der Karpaten zwischen Ost- und Südosteuropa und war ehemals Hauptstadt des österreichischen Kronlandes Bukowina. Sie wurde zum Ende des 14. Jahrhunderts zeitgleich mit dem Entstehen des rumänischen Fürstentums Moldau gegründet.

 

Die politische Situation der ehemaligen Hauptstadt der Bukowina wurde seit 1918 von raschen Veränderungen geprägt. Diese fanden im territorialen Bereich, im innerpolitischen System und im ethnischen Gefüge der Bevölkerung statt. Die multikulturelle Stadt beherbergte viele unterschiedliche Völker: Deutsche, Juden, Ukrainer, Rumänen, Polen, Ungarn und Armenier. Auch ein Blick auf die religiösen Bekenntnisse in der Zwischenkriegszeit zeigt eine große Pluralität: griechisch-orientalisch, griechisch-katholisch, römisch-katholisch, armenisch-katholisch, evangelisch und jüdisch. Mit der wechselnden politischen Zugehörigkeit seit dem Ende des Habsburgerreichs ging auch eine ethnische „Homogenisierung“ der Bevölkerung einher.

 

 

Cernăuţi – „Rumänisierung“

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Auflösung der Habsburger Monarchie wurde die Bukowina und somit auch Czernowitz Großrumänien zugesprochen. Der zunehmende Nationalismus im 19. Jahrhundert beeinflusste auch das polyethnische Czernowitz. Während der Herrschaft der Habsburger konnte das sensible Gleichgewicht innerhalb der Bevölkerung aufrechterhalten werden. Dies änderte sich jedoch mit dem Zusammenbruch des seit über 140 Jahren bestehenden Habsburgerreiches.

 

Nachdem die Stadt durch den Pariser Friedensvertrag 1919 an Rumänien fiel, machte der Anteil der jüdischen Bevölkerung ein Drittel der Bevölkerung aus. Die Rumänisierung, die nach der rumänischen Machtübernahme erfolgte, beeinflusste den politischen und sozialen Bereich. Innerhalb der städtischen und der staatlichen Institutionen wurde Rumänisch zur Amtssprache; nichtrumänische Organisationen wurden verboten und vor allem die ukrainische Presse wurde zensiert. Ab 1919 waren die Schulen nach Ethnien getrennt. Plätze und Straßennamen wurden gewechselt und Denkmäler und Symbole, die noch aus dem Habsburgerregime stammten, wurden entfernt. Das rumänische Militär wurde eingesetzt, um Unruhen zu bekämpfen. Ab 1938 durfte selbst in privaten Geschäften nur noch rumänisch gesprochen werden. Das Ziel der rumänischen Regierung war es, die nicht-rumänische Wirtschaft zu schwächen und eine rumänische Mittelschicht zu schaffen. 

 

 

Sowjetisierung Czernowitzs       

Mit dem „Hitler-Stalin-Pakt“, den Deutschland 1939 mit der Sowjetunion schloss, wurde die nördliche Bukowina mit Czernowitz der Sowjetunion zugesprochen. Mit dem Einmarsch der roten Truppen 1940 hofften viele Bewohner auf eine Besserung ihrer Lage. Was kam, war eine „ethnische Homogenisierung“, weshalb es auch zu einer Aussiedlung von Deutschen kam. Die Folgen der Sowjetisierung: Probleme bei der Versorgung mit Lebensmitteln, Gefängnisse, die mit „Volksfeinden“ gefüllt waren, Misstrauen in Intellektuellenkreisen und die Verstaatlichung von Industrie und Handel, sowie die Umbenennung der rumänischen Straßen und Plätze. Die Kommunistische Partei kontrollierte das Stadtleben, verbot Vereine und Zeitungsredaktionen; Intellektuelle wurden verhaftet. Schon 1941 kam es zur erneuten Machtübernahme der Rumänen. Durch die Behauptung, die jüdische Bevölkerung würde mit den Sowjets sympathisieren, wurde sie zum Feindbild stilisiert.

 

 

Jüdisches Leben und Kultur in Czernowitz  

 

„Glauben sie nicht, dass Czernowitz eine Stadt ist.
Es ist eine Welt.“[1]

 

Neben der ukrainischen und der rumänischen Bevölkerung bildete die jüdische Stadtbevölkerung seit dem Mittelalter den drittgrößten Anteil. Durch den jüdischen Einfluss war das kulturelle Leben der Stadt bedeutend und im ständigen Prozess der Weiterentwicklung. Eine Besonderheit der Czernowitzer sozialen Stadtstruktur: die jüdischen Bewohner waren in allen sozialen Bereichen der Stadt vertreten.

 

Während der „rumänischen“ Jahre zwischen den Weltkriegen war die Stadt stärker jüdisch geprägt als noch unter den Habsburgern. Der Anteil der jüdischen Bevölkerung, der zum Ende der österreichischen Oberherrschaft 32,8 Prozent ausmachte, steigerte sich im Jahr 1919 auf 47,4 Prozent.

 

Das politische Leben war in den 1930er Jahren geprägt vom Erstarken der rechten Bewegung. Zusammenstößen von rumänischen und jüdischen Studenten (vor allem Übergriffen der rechtsradikalen Eiserenen Garde auf jüdische Kulturinstitutionen und Geschäfte) ereigneten sich immer öfter. Die rumänische Regierung hatte die Absicht, die wirtschaftliche Macht der Juden in der Bukowina zu mindern. Dies zeigen auch der zunehmende Antisemitismus, die Überprüfung und das Absprechen der Staatsbürgerschaft, sowie Arbeitsverlust; ein Ausschluss aus den Universitäten war für viele Juden bittere Realität geworden. Zahlreiche jüdische Intellektuelle zogen sich deshalb ins Private zurück und es begann ein reges Schaffen der jüdischen Literaten. In den 1930er Jahren blühte ein spezifisch deutsch-jüdisches literarisches Milieu auf, dem bedeutende Literaten wie Alfred Margul-Sperber, Immanuel Weissglas, Paul Celan, Rose Ausländer und viele mehr angehörten.

 

Die Verbundenheit, die zwischen der jüdischen Gemeinde und der deutschen Sprache und Kultur existierte, zeigt sich in der jüdischen Presse, die fast ausschließlich auf Deutsch erschien. Insgesamt jedoch verstärkte sich das Verbundenheitsgefühl mit der jiddischen Kultur in den 1930er Jahren. Jiddische Literatur und jiddisches Theater hatten Hochkonjunktur.

 

Nach dem Rückzug der Roten Armee und der erneuten Machtübernahme der Rumänen begann 1941 eine Vernichtungspolitik gegen die Juden. Während der rumänischen Herrschaft wurden mehr als 23.000 Juden deportiert. Die Lage der jüdischen Bevölkerung in der Zwischenkriegszeit war geprägt von dem Konflikt der Zugehörigkeit der deutschen Sprache und Kultur und der gleichzeitigen Diskriminierung und Ausgrenzung, sowohl von rumänischer als auch deutscher Seite aus.

 

© Universität Augsburg

Die Spuren der jüdischen Vergangenheit sind überall in der Stadt zu finden. Viele Gebäude, die ehemals der jüdischen Gemeinde gehörten, werden heute als Kino oder privater Firmensitz genutzt. Auch heute noch ist der Umgang mit der jüdischen Vergangenheit ein eher schwieriges Kapitel in der ukrainischen Geschichte. Bemühungen von Seiten der Czernowitzer jüdischen Gemeinde finden nur langsam Zugang zur öffentlichen Aufmerksamkeit. Erste Erfolge, wie zum Beispiel ein Denkmal für die Opfer des Holocaust, können verzeichnet werden. Ein Besuch im jüdischen Museum zeigt die jüdische Stadtgeschichte auf. Einen tiefen Eindruck hinterlässt der jüdische Friedhof Czernowitzs; dort wird das Ausmaß der Vernichtung klar.

 

 

Literatur

  • Braun, Helmut (Hrsg.): Czernowitz: Die Geschichte einer untergegangenen Kulturmetropole, Berlin 2006.
  • Heppner; Harald: Czernowitz im städtegeschichtlichen Vergleich, in: Czernowitz. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Stadt, hrsg. v. ebd, Köln 2000, S. 1-11.
  • Masan, Oleksandr: Czernowitz in Vergangenheit und Gegenwart, in: Czernowitz. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Stadt, hrsg. v. Harald Heppner, Köln 2000S. 11-44.
  • Lihaciu, Ion: Czernowitz 1848-1918. Das kulturelle Leben einer Provinzmetropole, Kaiserslautern und Mehlingen 2012.
  • Recensământul general al populaţiei României din 29 Decembrie 1930. Vol. II. Bucureşti 1938, 120-121.

[1] Gray, Nora: Und wenn ich wär aus Czernowitz? Reiseerzählungen von A-Z, Wien 1986, S. 12.

 

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