Die literarische Stadt Lemberg

Beitrag und Foto von Irina Kauß

 

Die literarische Geschichte Lembergs steht in engem Zusammenhang mit der wechselvollen Historie der Stadt. Damit ist sie außerdem – insbesondere die deutschsprachigen Dichter betreffend –  nicht losgelöst von den literarischen Entwicklungen der Habsburgermonarchie zu sehen, sondern in deren reziproken Beeinflussung. Dies zeigt sich sowohl am Werk der Autoren, als auch an deren Biographien, da nicht wenige von ihnen Zeit ihres Lebens in Wien verbrachten. Doch parallel dazu strebten Literaten auch die Herausbildung eigenständiger nationaler Sprachen und Literaturen an, sodass die Schriftsteller, die mit Lemberg verbunden sind, in einem komplexen Geflecht unterschiedlichster Einflüsse und Interessen zu betrachten sind.

 

Literaten des 19. Jahrhunderts

Als „Ruska trijzja“, ruthenisches Trio, wurden die drei Lemberger Romantiker Markijan Šaškevyč, Ivan Vahylevyč und Jakiv Holovackyj in den 1830er und 1840er Jahren bekannt. Sie verurteilten die „kulturelle“ polnische und österreichisch-ungarische Fremdherrschaft über Galizien und drückten dies u.a. durch die Verwendung der ukrainischen Sprache in ihren Werken aus, wie beispielsweise im galizisch-ukrainischen Almanach „Russalka Dnistrowaja“.

 

Für das literarische Schaffen Leopold von Sacher-Masochs (1836-1895) spielte Galizien eine bedeutsame Rolle, obwohl er Lemberg bereits im Alter von 12 Jahren verlassen hatte, da er mit seiner Familie nach Prag umgezogen war. Sacher-Masoch habilitierte in Geschichte und wurde nach einer Tätigkeit als Privatdozent freier Schriftsteller. Immer wieder thematisiert er in seinen Romanen und Erzählungen die Multinationalität, die Landschaft und soziale sowie nationale Konflikte Galiziens. Im Roman „Eine galizische Geschichte. 1846“ befasst er sich mit dem polnischen Aufstand und stellt dabei auch das galizische Leben im 19. Jahrhundert in seinen zahlreichen Facetten dar. Den Nationalismus galizischer Ruthenen, der in den 1830er und 1840er Jahren aufkam, behandelt er u.a. im Roman „Sascha und Saschka“ von 1885. Sacher-Masoch veröffentlichte außerdem einige „Judengeschichten“, in denen er seine genauen Kenntnisse des jüdischen Milieus beweist, obschon sein Blick auf das Leben im Ghetto ein verklärter ist.

 

Eine entscheidende Rolle für die Entwicklung der modernen ukrainischen Literatur spielte Ivan Franko (1856-1916), der die Lemberger Universität besuchte, die gegenwärtig nach ihm benannt ist. Dort befindet sich außerdem eine Statue seiner selbst. Franko war Übersetzer und Literaturkritiker, gründete Zeitschriften bzw. arbeitete für sie und verfasste selbst Gedichte und Erzähltexte. Lyrisch verarbeitete er biblische, antike, mittelalterliche und orientalische Motive, bis er sich in den 1880er Jahren eher naturalistischen Themen widmete, v.a. dem Leben der unterschiedlichen galizischen Schichten, wie beispielsweise in der Gedichtsammlung „Aus Höhen und Tiefen“. Auch in der Prosa orientierte er sich an seinem Vorbild Emil Zola, indem er sich sozialkritisch mit dem Leben der Arbeiter und Bauern auseinandersetzt, so in „Erzählungen aus Boryslaw“. Franko sprach sich für die soziale Befreiung und die nationale Emanzipation der Ukrainer aus. An ihn erinnert bis heute sein Grabmal auf dem Lyčakivski-Friedhof in Lemberg.

 

© Universität Augsburg

Literaten des 20. Jahrhunderts

Thaddäus Rittner wurde 1873 in Lemberg geboren. Er studierte Jura in Wien und wurde österreichischer Beamter. Rittner kehrte im Rahmen von Reisen durch Europa auch immer wieder nach Galizien zurück. Da er sich als Pole fühlte, nahm er 1918 die polnische Staatsangehörigkeit an. Hauptsächlich schrieb Rittner Dramen, z.B. „Das kleine Heim“, das er zunächst auf Polnisch abfasste und anschließend ins Deutsche übersetzte. Bei späteren Werken ging er andersherum vor. Seine Stücke wurden in Wien aufgeführt, z.B. „Kinder der Erde“ und „Die Tragödie des Eumenes“. Er schrieb außerdem Novellen und Romane wie „Ich kenne Sie“, sowie für Feuilletons. Sein Werk wird der Literatur der Moderne zugerechnet; Rittner verwischt die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, seine Texte sind impressionistisch und psychologisch. Die Dramen stehen zwischen Realismus und Symbolismus. Nach dem 1. Weltkrieg wandte er sich dann vermehrt sozialpolitischen Themen zu.

 

Eine heute noch recht bekannte Persönlichkeit aus dem galizischen Judentum ist Martin Buber (1878-1965), der den kulturellen und geistigen Zionismus mitbegründete. Er wuchs in Lemberg bei seinen Großeltern auf, wo er die deutsche und polnische Kultur und die ostjüdische Frömmigkeit kennenlernte. Er studierte in Wien und anderen Städten Philosophie und zählte sich zum chassidischen Judentum. In seinen literarischen Werken verklärt er die chassidische Welt und verarbeitet deren Legenden, beispielsweise in „Die Legende des Baalschem“ (1908). 1938 ging er nach Palästina, wo er weiterhin „chassidische Geschichten“ über die ostjüdische Welt schrieb, die durch den Nationalsozialismus unterging.

 

Als Vertreter galiziendeutscher Heimatliteratur sei hier Jakob Rollauer (1881-1963) aufgeführt, ein deutscher Volkslehrer und Geschäftsführer des „Bundes der christlichen Deutschen in Galizien“. Er gründete außerdem eine Liebhaberbühne und publizierte im „Ostdeutschen Volksblatt“ Prosatexte und Gedichte in Mundart, wie z.B. „Der Apfelbaum“.

 

In der Ukraine der 1920er Jahre wurde Volodymyr Vynnyčenko viel gelesen, darum soll er hier trotz seines nur wenige Jahre dauernden Lemberger Aufenthaltes Erwähnung finden. Aufgrund seiner sozialdemokratischen Gesinnung lebte er ab 1921 im Exil und sein Ruf wurde von offizieller Seite erst in den 1980er Jahren wiederhergestellt. Er verfasste neben Dramen wie „Die Lüge“ einen utopischen Roman mit dem Titel „Die Sonnenmaschine“, in dem er seine sozialistischen Ideen darlegt.

 

Als vermutlich der bekannteste deutschsprachige Schriftsteller Galiziens kann (Moses) Joseph Roth bezeichnet werden, der 1894 in der jüdischen Stadt Brody geboren wurde. Nach einem sehr kurzen Aufenthalt in Lemberg zog er zum weiteren Studium nach Wien. Zugleich arbeitete er als Hauslehrer und veröffentlichte Texte in Zeitungen und Zeitschriften. Er meldete sich zum Freiwilligendienst in der k. u. k.-Armee und wurde nach der Ausbildung in der Nähe von Lemberg stationiert, wo er 1917-1918 für den Kriegspressedienst tätig war. Wenige Jahre später nahm er die österreichische Staatsbürgerschaft an und arbeitete als Journalist. Ab 1921 schrieb er außerdem Romane, die zunächst in Fortsetzung veröffentlicht wurden, z. B. „Hotel Savoy“ in der Frankfurter Zeitung. 1924 hielt er sich als Journalist in Galizien auf und erhielt in der Folge weitere Aufträge als Reisereporter. Seine frühen Romane, darunter „Flucht ohne Ende“ von 1927, werden aufgrund ihrer Reportageähnlichkeit, Wirklichkeitsnähe und der Auswahl zeitnaher Themen der Neuen Sachlichkeit zugeordnet. Roth wandte sich dann auch dem Ostjudentum und Stoffen aus seiner Heimat Galizien zu, die er verklärt-mythisiert darstellt, z. B. in „Hiob. Roman eines einfachen Mannes“ (1930), in dem ein frommer ostjüdischer Mann in die USA emigriert. 1930-32 arbeitete er am „Radetzkymarsch“. Mit diesem Roman thematisiert Roth den Untergang der Habsburgermonarchie, die er als seine ideologische Heimat empfindet. Auch in „Die hundert Tage“ bedauert er die verlorene Heimat Galizien bzw. Österreich. Ab 1933 hielt er sich in Paris auf, wo er sich karitativ für Flüchtlinge einsetzte und als Journalist gegen den Antifaschismus engagierte; 1939 verstarb er dort.

 

Der Lemberger Autor Ihor Kalynez (geboren 1939), ein wichtiger Vertreter der westukrainischen Gegenwartsdichtung, erhielt nach der Veröffentlichung seines ersten Gedichtbandes „Johannisfeuer“ 1965 ein Druckverbot, sodass seine „Gedichte aus der Ukraine“ 1970 in Brüssel erschienen. Weil er die staatliche Zerstörung von Kirchen, Bibliotheks- und Museumsbeständen kritisierte, erlitt er in den 70ern eine mehrjährige Lagerstrafe und Verbannung.

 

Unter dem Namen „Bu-Ba-Bu“ macht seit den 1980er Jahren eine Gruppe von drei Autoren mit „Karnevalliteratur“ auf sich aufmerksam. Der Name wurde aus den Begriffen Burleske, Balagan (Chaos) und Buffonade gebildet. Jurij Andruchovyč verfasst Gedichtbände und Prosatexte, in denen er die untergegangene Welt des multikulturellen Galiziens bzw. Lembergs der Habsburgermonarchie thematisiert, so im Zyklus „Reiseeindrücke im Juli“. Viktor Neborak schreibt postmoderne Gedichte, Sonette und Episteln und avantgardistische Schlager. Lemberg bildet bei ihm einen rekurrierenden Topos. Oleksandr Irvanets arbeitet mit der Ironie als Stilmittel an Gedichten, Dramen und Erzählungen.

 

 

Literatur

  • Havryliv, Tymofij: Das literarische Dezennium. Die ukrainische Literatur von der Mitte der achtziger bis zur Mitte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts, in: Peter Jordan u.a. (Hg.): Ukraine. Geographie, Ethnische Struktur, Geschichte, Sprache und Literatur, Kultur, Politik, Bildung, Wirtschaft, Recht, Wien u.a. 2001 (Osthefte, Sonderband 15), S. 577-607.
  • Horbatsch, Anna-Halja: Die Ukraine in Spiegel ihrer Literatur. Dichtung als Überlebensweg eines Volkes. Beiträge, Reichelsheim 1997.
  • Kłańska, Maria: Die deutschsprachige Literatur Galiziens und der Bukowina von 1772 bis 1945, in: Isabel Röskau-Rydel (Hg.): Galizien, Bukowina, Moldau, Berlin 1999 (Deutsche Geschichte im Osten Europas), S. 379-482.
  • Najenko, Mychajlo: Ukraninische Literatur von den Anfängen bis 1918, in: Peter Jordan u.a. (Hg.): Ukraine. Geographie, Ethnische Struktur, Geschichte, Sprache und Literatur, Kultur, Politik, Bildung, Wirtschaft, Recht, Wien u.a. 2001 (Osthefte, Sonderband 15), S. 525-539.

 

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