Sammlungen jüdisch-liturgischer Musik

© Universität Augsburg
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Sammlung Lorand

Der gebürtige Ungar Marcel (Márton) Lorand (1911-1988) pflegte nach dem Zweiten Weltkrieg als Oberkantor an der Budapester Hauptsynagoge und ab 1964 in Straßburg als einer von ganz wenigen Kantoren in Europa die orgelbegleitete Synagogalmusik weiter, die bis zur Schoah von Paris und London bis nach Lemberg und Odessa mehr als ein Jahrhundert lang den Gottesdienst der aschkenasischen Juden geprägt hatte. Die schriftlichen Zeugnisse dieser Musikkultur, die ohnehin nie zum Sammelgut öffentlicher Bibliotheken gehört hatten, gingen mit dem Völkermord an den Juden verloren. Lediglich in Nordamerika und in Israel hat sich diese Tradition des liturgischen Singens bis heute erhalten.

 

Im Jahr 1986 konnte die Universitätsbibliothek Augsburg Lorands Musikaliensammlung erwerben. Die Initiative, diesen außerordentlich seltenen und wertvollen Notenbestand für die Nachwelt zu sichern, ging von dem späteren Leiter des Europäischen Zentrums für Jüdische Musik in Hannover Andor Izsák (* 1944) aus, der Lorand in Budapest einige Zeit als Organist zur Verfügung gestanden hatte und seither mit ihm freundschaftlich verbunden war.

 

Die Sammlung Lorand setzt sich zusammen aus über 100 Notendrucken, darunter viele der großen Sammelwerke synagogaler Musik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, wie auch aus handschriftlichem Notenmaterial: Fünf teilweise mehrere hundert Seiten starke Notenbände und eine Vielzahl von Einzelkompositionen meist eher geringen Umfangs in vier Konvoluten (insgesamt knapp 600 Seiten). Die Sammlung bietet einen guten Überblick über die liturgisch-musikalische Praxis des aschkenasischen Ritus im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Entsprechend der Biographie des Sammlers sind zwei geographische Schwerpunkte erkennbar: das Gebiet des ungarischen Teils der k.k.-Monarchie und das französische Sprachgebiet.

 

Der Erhaltungszustand vor allem der Drucke ist großenteils sehr schlecht (säurehaltiges Papier, massive Gebrauchsspuren etc.). Da eine Nutzung der Originale in ihrem heutigen Zustand nicht zu verantworten ist, wurde der Gesamtbestand zunächst sicherheitsverfilmt; ab Ende 2006 wurden die Filme digitalisiert.

 

Der gedruckte Katalog der Sammlung Lorand enthält neben den (teilweise annotierten) Titelaufnahmen der einzelnen Werke auch eine historische Einführung in die Musik der Synagoge:

 

Günther Grünsteudel:

Musik für die Synagoge. Die Sammlung Marcel Lorand der Universitätsbibliothek Augsburg. Historische Einführung und Katalog
Augsburg: Universitätsbibliothek Augsburg, 2008 

 

Sammlung Singer

Die umfangreiche Sammlung jüdisch-liturgischer Musik, zu der Robert Singer vor mehr als 40 Jahren den Grundstein legte, konnte in den Jahren 2010 und 2011 in drei Tranchen von der Universitätsbibliothek Augsburg erworben werden, um sie für die Forschung zu erschließen und dauerhaft bereitzustellen.

 

Robert Singer wurde 1955 in Budapest als Sohn eines orthodoxen Rabbiners und Textilexperten und einer Volksschullehrerin geboren. 1965 emigrierte die Familie über Antwerpen nach Wien. Im Hauptberuf industrieller Versicherungsmakler, ist Singer seit 1974 an hohen Feiertagen auch als Kantor tätig mit Auftritten nicht nur in Wien, sondern u. a. auch in Berlin, Mainz, Saarbrücken, Cannes, Vevey, Brüssel und Göteborg.

 

Die Sammlung Singer wurde am 25. Juni 2012 in einem Festakt im Ausstellungsfoyer der Zentralbibliothek feierlich übergeben. In einer kleinen Ansprache erinnerte sich der Kompilator bei dieser Gelegenheit an den Beginn seiner Sammeltätigkeit: „Es war einmal eine kleine Wohnung im 7. Bezirk der ungarischen Hauptstadt Budapest, nahe dem wunderschönen Stadtpark. Jeden Sonntag fand hier bei kommunistischem Kaffee, koscherem Kuchen und ordentlich stinkenden Sliwowitz eine höchst konspirative Zusammenkunft statt” [mehr]. Die Sammlung umfasst ca. 20.000 Seiten Noten in gedruckter Form, etwa 2.000 Seiten handschriftliches Notenmaterial (Unikate) sowie knapp 500 Tonträger (Schallplatten, CDs, Tonkassetten), darunter zahlreiche unikate Privatmitschnitte.

 

Zusammen mit der bereits Ende der 1980er Jahre von der Universitätsbibliothek Augsburg erworbenen Sammlung des Budapester und später Straßburger Kantors Marcel (Martón) Lorand (1911-1988) gehört sie zu den bedeutendsten ihrer Art in Europa. Wie diese dokumentiert sie den aschkenasischen Synagogengesang in aller Breite und ergänzt die zuvor erworbene Sammlung in geradezu idealer Weise.

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